Aus der Traum: Lemgoer Powerplay bleibt unbelohnt
Eine unglaubliche Willensleistung, leidenschaftliche Abwehrarbeit, tolle Umschaltmomente – doch das große Ziel am Ende knapp verpasst. Trotz des 33:31(18:15)-Heimerfolgs gegen FRISCH AUF! Göppingen bleibt dem TBV Lemgo Lippe der Einzug in die Gruppenphase der EHF European League verwehrt. Doch die Lipper verabschiedeten sich erhobenen Hauptes.
Zum Spiel: Für das Lemgoer Vorhaben, die Vier-Tore-Hypothek aus der 24:28-Hinspielniederlage in der Göppinger EWS-Arena vor heimischem Publikum noch auszulösen, konnte Kehrmann personell aus dem Vollen schöpfen. Neben Samuel Zehnder und Lukas Zerbe, die bei der Auswärtsniederlage in Stuttgart geschont worden waren, stand auch der frischgebackene Familienvater Tim Suton wieder zur Verfügung.
Keine zehn Minuten waren in der Phoenix Contact-Arena gespielt, da schien die Hürde für die Lipper fast schon unüberwindbar. Einige Lemgoer Missverständnisse, gepaart mit fehlendem Quäntchen Glück im Abschluss, hatten zunächst zur Folge, dass die Göppinger um Rückraumshooter Tim Kneule und Linksaußen Marcel Schiller zunächst auf 2:6 davoneilen konnten. Zu diesem Zeitpunkt ahnte niemand der 2.231 Zuschauer, welch ein Comeback die Hausherren in den nächsten 20 Minuten hinlegen würden. Ein wesentlicher Faktor dabei: TBV-Rückhalt Urh Kastelic. Obwohl die Lemgoer Deckung keineswegs nur klein beigab, verhinderte der Slowene ein ums andere Mal weitere Einschläge. Postwendend schaltete der TBV immer wieder um: Mit all seiner Physis stellte Suton auf 3:6, ehe Nils Versteijnen und Spielmacher Lukas Hutecek nach einem weiteren Kastelic-Safe den Anschluss herstellten. Über 6:7 und 10:11 blieb der TBV am Drücker.
Die Lemgoer Fans standen ihren Schützlingen auf dem Feld in dieser Phase in nichts nach und peitschten das Team nach vorne. Gedeón Guardiola glich zunächst aus, ehe TBV-Linksaußen Samuel Zehnder nach einer weiteren Kastelic-Parade im Eilverfahren zur ersten Lemgoer Führung spurtete (12:11, 21.). Bei Lemgo passte es nun vorne wie hinten: Hinten drängte man die Göppinger Angreifer stets an den Rand des Zeitspiels, vorne wirkten sämtliche Blockaden gelöst. Nach 15:12 und 17:14 schweißte Hutecek den Ball mit der letzten Sekunde ins obere rechte Eck zum umjubelten 18:15 – und die Hypothek betrug zur Halbzeit nur noch minus eins.
Der zweite Durchgang begann, wie der erste geendet hatte: mit Kastelic-Paraden und einem postwendend umschaltenden TBV, der fortan konsequent im 7:6 attackierte. Doch just, als Lukas Zerbe mit seinem Tor zum 20:15 das Ticket für die Gruppenphase beschlagnahmt hatte, erlitt das Lemgoer Spiel einen kleinen Bruch – und der Ligazehnte verkürzte mit einem 5:1-Lauf auf 21:20 (38.).
Aber: Der TBV fand rechtzeitig zurück zu seinem Spiel – und stemmte sich mit allem dagegen. Mit Anbruch des letzten Drittels lief Zerbe nach Kastelic‘ nächstem gehaltenen Ball den Gegenstoß zum 23:20. Als Hutecek nach einer Dreiviertelstunde zum 26:22 durchbrach, standen die Zeichen auf Siebenmeterschießen. Der Schlussakt lieferte höchste Dramatik, längst bot sich ein Showdown auf Messers Schneide. Der für den verletzten Hutecek eingewechselte Emil Buhl Laerke stellte sogleich seine Shooterqualitäten unter Beweis, Finn Zecher vereitelte einen Schiller-Strafwurf und ließ den Lemgoer Hexenkessel förmlich überkochen. Doch nachdem auch Tim Suton kurz darauf angeschlagen das Feld verließ, musste der TBV einen weiteren Treffer ins verwaiste Lemgoer Gehäuse hinnehmen (31:29). Als die Lemgoer Deckung ein weiteres Mal zugepackt und Isaias Guardiola zwei Minuten vor Schluss das Spielgerät im Gegenstoß mit aller Entschlossenheit zum 32:29 ins Netz gewuchtet hatte, erhob sich der Lemgoer Anhang.
Nachdem der nächste Göppinger Angriff an der Abwehrmauer abgeprallt war, bot sich dem TBV im Gegenzug die Riesenchance auf plus vier. Doch sowohl Frederik Simak, als auch G. Guardiola im Nachsetzen scheiterten am ebenfalls glänzend aufgelegten Göppinger Keeper Marin Sego. Gäste-Coach Hartmut Mayerhoffer nahm die letzte Auszeit. Simak konterte zwar flugs Jospic Sarac, doch als Göppingens Leitwolf Tim Kneule den letzten Angriff in Minute 59:47 vollstreckte, wusste ein jeder: Es hat in diesem Jahr ganz knapp nicht sollen sein.
TBV-Trainer Florian Kehrmann: „Ich bin noch ein bisschen nachdenklich, woran es jetzt wirklich gelegen hat. Wir haben heute eine unglaubliche Willensleistung gesehen. Wir haben auch nach dem 2:6 nicht den Kopf hängen lassen und weiter daran geglaubt. Am Ende entscheiden Kleinigkeiten eine so enge Paarung. In der entscheidenden Phase haben wir leider ein paar freie Chancen liegenlassen. Wir hatten davor die Möglichkeit, das Spiel wirklich komplett zu drehen. Letzten Endes gibt es viele Gründe, warum wir ausgeschieden sind. Aber heute bin ich wirklich stolz auf das, was die Mannschaft geleistet hat. Leider Gottes ist das Abenteuer Europa nun für uns zu Ende – trotzdem werden wir weitermachen.“
TBV Lemgo Lippe: Zecher, Kastelic; Hutecek (4), Zehnder (5), Brosch (2), I. Guardiola (1), Simak (2), Laerke (1), Schagen (4), Schwarzer, Suton (4), Zerbe (6), Versteijnen (1), G. Guardiola (3), Oetjen, Blaauw
Foto: Matthias Wieking.